Babylon ist nicht eine Stadt, sondern seit Urzeiten das Sinnbild für die von Gott gelöste, allein auf den Kräften des Menschen aufgebaute Weltkultur. Sie steht im antichristlichen Zeitalter imponierender da als je. Sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung. Nie hat es etwas Ähnliches gegeben. Endlich können die Milliarden, die früher für die wahnsinnigen Kriegsrüstungen ausgegeben wurden, für die kulturelle Entwicklung der Menschheit verwendet werden. Ungeheure Geldmittel stehen zur Verfügung, um die Arbeit in den chemischen und physikalischen Laboratorien zu fördern. Es wird von den tüchtigsten Gelehrten und Forschern intensiv gearbeitet, um jeden nur möglichen Fortschritt zu gewinnen. Die technische Organisation der ganzen Welt ist fabelhaft. Alle Menschen genießen diese Fortschritte der Technik und berauschen sich an ihr. Es gibt keinen Winkel der Welt mehr, der nicht von diesem kulturellen Fortschritt erfaßt wird und ihn mit Freuden genießt. Es gibt kein Gebiet der modernen Zivilisation, auf dem nicht enorme Fortschritte gemacht werden. Die Kultur des modernen Menschen hat eine bis dahin ungeahnte Höhenlage erreicht.
Demgegenüber nehmen sich die versprengten kleinen Häuflein der Jünger Jesu sehr kümmerlich aus. Offiziell ist das Christentum ausgelöscht. Die christlichen Organisationen und Kirchen sind nicht mehr vorhanden. Gottesdienste und christliche Versammlungen bestehen nicht mehr. Die Christenheit scheint vom Erdboden verschwunden zu sein. Dennoch lebt die Gemeinde Jesu in vielen unbekannten Gliedern verstreut über die ganze Erde. Nach den Größenmaßstäben dieses Zeitalters ist die Gemeinde Jesu ein Nichts, machtlos, bedeutungslos. Die Menschheitsgeschichte wird von anderen Kräften gestaltet. Die großen kulturellen Erfolge beruhen nicht auf dem Evangelium von Jesus, sondern auf der enormen geistigen Arbeit und Willensanstrengung des modernen Menschen. Die Lage der
Die letzte Etappe der Weltgeschichte
Gemeinde Jesu scheint verzweifelt zu sein. Es sieht so aus, als wenn ihr Leben zu Ende ginge.
In diese Lage hinein kommt die Botschaft Gottes: „Gefallen, gefallen ist Babylon, die Gewaltige." So imponierend die Kultur des modernen Menschen ist, für Gott ist sie nur eine Eintagserscheinung. Er sieht schon ihr Ende. Für ihn ist sie überholt und erledigt. Er blickt über die kurze letzte Spanne ihrer Existenz hinaus und sieht ihren Einsturz. Für ihn ist diese letzte, so imponierende Etappe der Weltkultur des Menschen nur ein kleiner Augenblick. Er weiß, daß ihr kein Ewigkeitscharakter innewohnt, sondern daß die Kultur des modernen Menschen in der Wurzel krank ist und aus inneren Gründen zerbrechen muß. Das soll die Gemeinde auf Erden in ihrer furchtbaren Lage wissen, damit sie mit tapferen Schritten ihren Weg weitergeht. So lang und schwer dieser Weg zu sein scheint, so ist er in Wirklichkeit eine verschwindend kleine Spanne Zeit im Angesicht der Ewigkeit. Mit Nachdruck wird zweimal ausgesprochen: „Gefallen, gefallen ist Babylon." So klar sieht Gott den Einsturz der Kultur des Menschen vor Augen. Er sieht sie als erledigt an. Die Gemeinde Jesu soll in ihrer schweren Lage wissen, daß dieses imponierende technische Gebilde, das die ganze Welt umspannt, keinen Bestand hat.
Mit eigenartiger Formulierung wird ausgesprochen, daß diese gewaltige technische Kultur mit dem Zorneswein ihrer Hurerei alle Völker getränkt hat. Der Trank, den sie dem Menschen gereicht hat, ist wie starker Wein, der berauscht und die wirkliche Lage nicht mehr klar sehen läßt. In der Tat ist über den modernen Menschen ein Rausch gekommen. Er glaubt, der Herr der Schöpfung zu sein. Die Hohlheit seiner Kultur nimmt er nicht wahr. Er sieht nicht, daß der Mensch von Technik allein nicht zu leben vermag und daß eine nur auf dem Intellekt des Menschen aufgebaute Kultur den innersten Durst der Seele nicht löschen kann. Alle Völker der Erde sind mit diesem berauschenden Wein der modernen Kultur getränkt worden.
Es ist eine erschütternde Tatsache, daß diese Kultur von demselben Europa ausgegangen ist, von dem auch die Kunde von Jesus in die Welt hinausging. Wo die Botschaft von Jesus in der Völkerwelt aufgenommen wurde, entstand Leben. Wo die
Der dämonische Charakter der modernen Kultur
europäische Kultur zur Herrschaft kam, entstand der Tod. Wir Europäer haben eine tiefe Schuld gegenüber den anderen Völkern der Welt. Die technische Zivilisation Europas war für sie Gift. Wir haben die Völker Afrikas aus ihren uralten Ordnungen gelöst und sie in den Industriezentren zu Opfern der Technik gemacht. Unheimliche Probleme sind daraus erwachsen. Niemand weiß, wie sie gelöst werden sollen. Es wird eine Lösung nur durch Christus geben können, wenn der europäische Mensch seine Schuld eingesteht und seinen schwarzen Bruder um Verzeihung bittet. Nicht anders liegt die Schuld des Europäers gegenüber den asiatischen Völkern. Er hat sie in eine tragische Entwicklung gestürzt. Er nahm ihnen den Mutterboden ihrer heimatlichen Kultur und gab ihnen das Gift der europäischen Zivilisation. Ganz zu schweigen von der Schuld an der Urbevölkerung Amerikas. Hier ist ein ganzer Erdteil fast restlos seiner alten Bewohner durch den Europäer beraubt worden. Es gibt kein Volk der Erde, das nicht unter uns Europäern gelitten hat und durch die europäische Zivilisation vergiftet wurde.
Die europäische Kultur des modernen Zeitalters ist in der Tat ein Zorneswein. Sie hat Zorn und Haß unter den Völkern erregt und die Menschen gegeneinander gehetzt. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts mit ihrem dämonischen Charakter sind eine bittere Frucht der von Gott gelösten modernen Kultur. Das Verhältnis der Völker und Menschen ist aufs tiefste gestört. Es ist ein Kampf aller gegen alle. Der Friede ist von der Erde gewichen. Zugleich aber ist der Taumeltrank, den die moderne Kultur dem Menschen gereicht hat, ein Zorneswein, weil die Menschheit hierdurch von Gott gelöst und reif für sein Gericht wurde. Für die moderne Weltkultur ist Gott tot. Sie baut sich allein aus den Kräften des Menschen auf. Darum kommt der Zorn Gottes im letzten Gericht über sie. Die technische Zivilisation, die den Menschen vom ewigen Gott löste, baute nicht das Paradies, sondern beraubte den Menschen der echten Lebensgrundlage in Gott und machte ihn reif für den Zorn Gottes und das ewige Gericht.
Es ist ein Zorneswein der Hurerei. Hierbei ist nicht nur daran zu denken, daß die moderne Kultur mit Sexualität geladen ist, sondern auch an die Tatsache, daß sie die Menschheit bewogen hat,
Die letzte Etappe der Weltgeschichte
die Ehe mit Gott zu brechen, in der sie allein echtes Leben gewinnen konnte. Die Welt des modernen Menschen war eindrucksvoller als der unsichtbare Gott. Der mächtige Aufbau der technischen Kultur löste von dem Wissen um die unsichtbare Welt Gottes und lieferte den Menschen an die Materie aus. Er verlor das Organ für die wirklichen Werte, die unsichtbar sind und doch das Leben ausmachen. Die moderne Entwicklung wurde zu einem unheimlichen Sog, der die gesamte Menschheit verschlang und von Gott löste. Aber Gott läßt sich nicht spotten. Er behält das letzte Wort, wenn er auch Jahrhunderte in großer Geduld warten kann. An dem Ehebruch Gott gegenüber stirbt die moderne Kultur. Sie hat in der Tat mit dem Zorneswein ihrer Hurerei den Weg der gesamten Menschheit verdorben und weiß kein Heilmittel, um die Welt einer Genesung entgegenzuführen.
Diese Botschaft Gottes von dem unaufhaltbaren Einsturz des modernen Weltzeitalters mit seiner gigantischen technischen Kultur soll den Blick seiner Gemeinde klären, daß sie sich von der fabelhaften Entwicklung im antichristlichen Zeitalter nicht imponieren läßt, sondern weiß, daß diese Kultur ein Scheingebilde ist und in Gottes Augen ihren Einsturz schon erlebt hat. Gott will dadurch seine Gemeinde stärken, daß sie ihren schwersten Weg getrost und tapfer geht und weiß, daß Gott das letzte Wort behält.